Eine Frage der Solidarität

Eine Frage der Solidarität

Immer mehr Flüchtlinge warten in Europas Mittelmeerstaaten auf Asyl. Tschechien verweigert bislang seine Hilfe

9. 4. 2014 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: Sara Prestianni/noborder network

Omids europäischer Traum ist geplatzt. Knapp drei Jahre hat der Mittvierziger in seinem Zimmer in einem tschechischen Asylbewerberheim ausgeharrt. Seinem Antrag auf Asyl wurde nie stattgegeben. Im Sommer 2012 loderte in Omid noch ein Funken Hoffnung. Der Iraner wollte seinen echten Namen damals nicht verraten, aber er wollte, dass die Öffentlichkeit von seinem Martyrium erfährt. Er wandte sich an die Medien. Zum Interview erschien der hochgewachsene Omid frisch rasiert und in einem violetten Hemd. Auf die Frage, was er sich zum Trinken wünsche, bat Omid um Schwarztee – im Prager Büro der Organisation für Flüchtlingshilfe OPU, die das Gespräch vermittelt hatte, gab es nur grünen. Omid reagierte mit einem Lächeln: „Das ist wie auf den tschechischen Ämtern, sie versprechen einem etwas, und dann können sie es nicht erfüllen.“

Tschechien gilt als einer der unwirtlichsten EU-Staaten für Flüchtlinge. Nur einem Bruchteil der Asylanträge wird stattgegeben. Und in den vergangenen Jahren hat das Innenministerium die Bedingungen für Asyl immer wieder verschärft.

Während in Tschechien 2002 noch knapp 18.000 Menschen internationalen Schutz beantragt haben, sank die Zahl der Anträge bis 2011 auf 756. Nur etwa einem Siebtel der Anträge wurde stattgegeben. 2013 betrug die Zahl der Asylanträge nur noch 500. Zum Vergleich: Schweden, von der Einwohnerzahl vergleichbar mit der Tschechischen Republik, nahm laut den Statistiken des UN-Flüchtlingswerks im vergangenen Jahr 54.260 Asylanträge entgegen.

Laut Martin Rozumek, Leiter von OPU, liegt das Problem der Prager Migrationspolitik nicht nur in der restriktiven Grundhaltung. „Wir wissen noch nicht einmal, was wir uns von der legalen Migration, von Einwanderern, die aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen, erhoffen“, erklärte Rozumek auf einer Debatte zum Thema Europäische Migrationspolitik in der vergangenen Woche. In Tschechien gebe es kein offizielles Konzept dafür, welche Einwanderer man aufnehmen möchte, oder welche beruflichen Qualifikationen gefragt sind. Laut dem Migrationsexperten fehle es den tschechischen Behörden an Weitsicht „Wenn ich mich nicht irre, wurde unser Einwanderungsgesetz seit 2000 ganze 42 Mal novelliert, keiner außer ein paar Beamte kennt sich darin noch aus.“

Rozumek traf am Donnerstag vergangener Woche auf fünf tschechische Kandidaten für die Europawahlen im Mai. Diskussionsthema: Braucht Europa eine gemeinsame Migrationspolitik? Rozumek sagt ja. „Aus der Tschechoslowakei sind während der Jahre 1968 bis 1989 hunderttausende Menschen geflohen.“ Tschechiens heutige Flüchtlingspolitik nennt Rozumek egoistisch.

Die Dublin-Falle
Die Frage nach der Solidarität beherrschte die Diskussion. Laut Ondřej Liška, Grünen-Chef und Spitzenkandidat seiner Partei für die Europawahlen, habe der Kontinent eine historische Verantwortung gegenüber den Entwicklungsländern. Die EU brauche gemeinsame Regeln für Einwanderer und Flüchtlinge und muss die Länder, die nicht an den Außengrenzen liegen, zu mehr Solidarität mit Staaten wie Italien, Malta oder Spanien bewegen.

Vom Europakandidat der Regierungspartei ANO Ivan Jančárek erntete Liška dafür Kritik. Die Vorstellungen der Grünen seien naiv, Europa engagiere sich mit Hilfsprojekten in den Krisenländern. „Wir sind nicht der Meinung, dass Migration etwas ist, das gemeinsam etwa über Quoten geregelt werden sollte“, sagte der ANO-Politiker.

Solidarität mit Ländern wie Malta, wo wegen der geographischen Lage auf tausend Einwohner etwa 20 Asylbewerber entfallen, verhindert eine EU-Richtlinie, die den Namen der irischen Hauptstadt trägt. Die Dublin-Verordnung schreibt es Flüchtlingen vor, in dem Staat Asyl zu beantragen, in dem sie zuerst den Schengenraum betreten. Dublin spielte auch in Omids Geschichte eine entscheidende Rolle – auch wenn sie komplizierter ist, als es die Brüsseler Richtlinien vorsehen.

Der Unternehmer wollte 2010 in Wien Asyl beantragen. Er war zuvor geschäftlich in Tschechien gewesen. Wegen des tschechischen Visums in seinem Pass schickten ihn die österreichischen Behörden in ein Auffanglager bei Brünn. „Ich war mit meinem Sohn hier, aber weil die Lebensbedingungen unmenschlich waren, versuchten wir zweimal auszureisen, einmal nach Österreich, ein zweites Mal in die Niederlande“, erklärte Omid. Zweimal wurden die beiden zurückgeschickt, wegen Dublin. Seine Freunde, die in den Niederlanden Asyl beantragt haben, leben längst legal dort. Omids Sohn kehrte schließlich in den Iran zurück. „Können Sie sich das vorstellen? Jugendliche im Nahen Osten sehnen sich nach Europa. Und mein Sohn zog es vor, in eine Hölle wie den Iran zurückzukehren, so schlimm fand er es hier.“ Er selbst, sagte Omid im Sommer 2012, könne aus politischen Gründen nicht in seine Heimat zurückkehren.

Balance halten
„Dublin ist ein Relikt“, meinte Grünen-Chef Ondřej Liška bei der Diskussion. Der sozialdemokratische Europaabgeordnete Libor Rouček und Kandidat für die Wahlen im Mai stimmte zu, warnte jedoch davor „naiv die Grenzen zu öffnen“. Laut Rouček, der selbst aus der damaligen Tschechoslowakei geflohen ist, führe gerade diese Naivität dazu, dass in Großbritannien und den Niederlanden Politiker mit rassistischer Stimmungsmache bei den Wählern punkten. „Wir brauchen eine Balance zwischen humanitärer Hilfe in den Krisenregionen, gelenkter Einwanderungspolitik und gemeinsamer Integrationspolitik“, so der ČSSD-Abgeordnete.

Die Bemühungen um eine Harmonisierung des europäischen Einwanderungsreglements erscheinen derzeit utopisch. Anti-europäische Gruppierungen wie zum Beispiel Marine Le Pens „Front National“ in Frankreich sind auf dem Vormarsch. Und Tschechien plant nach dem Vorbild anderer EU-Mitglieder „Nationale Visa“. Die sollen es Ausländern erlauben, insgesamt zwölf Monate im Land zu arbeiten und sind an einen konkreten Arbeitsvertrag in Tschechien gebunden.

Der Iraner Omid hat Europa Ende 2012 verlassen. Wie die Flüchtlingsorganisation OPU berichtet, kehrte er in seine Heimat zurück – auch wenn ihm dort politische Verfolgung droht. Als Omid noch Hoffnung auf ein neues Leben in Europa hatte, wollte er den Europäern eine Botschaft hinterlassen: „Wir sind keine Belastung für euch, wir leben unser eigenes Leben. Glaubt mir, wenn wir in unserer Heimat bleiben könnten, würden wir das tun.“

Omids Worte wurden nicht erhört – beim Interview gab es keinen Schwarztee und in Tschechien kein Asyl. OPU versucht momentan für Omid vor Gericht eine Entschädigung für die drei Jahre lange Wartezeit zu erstreiten.