Flucht ins Pornoparadies

Flucht ins Pornoparadies

Anastasia Hagen wird in der Ukraine verfolgt, weil sie in Pornofilmen mitspielte. In Tschechien hofft sie weiter auf Asyl

27. 2. 2013 - Text: Nancy WaldmannText und Foto: Nancy Waldmann

Anastasia Hagen ist 27 Jahre alt, hat drei Kinder und mehr als vierzig Pornofilme gedreht. Sie möchte eine gute Mutter sein. Um ihr Kind zu versorgen, hat sie ihr Geld als Pornodarstellerin verdient – und wurde damit berühmt. Nun muss sie beweisen, dass auch ein Pornostar eine gute Mutter ist.  

In ihrer Heimat, der Ukraine, droht Anastasia Hagen ein Prozess wegen der „Verbreitung von Pornografie“. Nachdem ihre Kinder sich – ohne jegliche Verdachtsmomente – einer ärztlichen Untersuchung unterziehen sollten, die prüft, ob sie an sexuellen Handlungen teilnahmen, flüchtete Hagen 2011 mit ihnen und ihrem russischen Ehemann Aleksander nach Tschechien. Damals kamen sie in das Land, das als „Pornoparadies“ gilt, und wo auch Hagen die meisten Filme gedreht hatte. Sie hatte den Eindruck gewonnen, hier gehe es liberaler und demokratischer zu als in der Ukraine. Sie bat um Asyl, aber ihr Antrag wurde abgelehnt. Es handele es sich weder um politische Verfolgung, noch um eine humanitäre Katastrophe, begründete das tschechische Innenministerium. Das war Ende November 2012.

Hagen wehrte sich. Zusammen mit Aktivistinnen der Nackt-Protestgruppe „Femen“ stellte sie sich oben ohne mit ihrem jüngsten Sohn auf dem Arm vor das tschechische Parlament. Der Fall der „Pornomama“ ging durch die tschechischen Medien. Eine Prager Flüchtlingsorganisation half ihr vor ein Berufungsgericht zu ziehen. Das entscheidet, ob das Ministerium den Asylantrag erneut prüfen muss. Das Wohl der Kinder sei dabei das Hauptargument, sagt ihre tschechische Anwältin Pavla Rozumková, denn die würden den Eltern in der Ukraine weggenommen und in ein Heim gesteckt. Das Gericht entscheidet am 4. März. Wenn auch kein Asyl, so könnte Hagen doch besonderen Schutz bekommen.

In einem Dorf in der Nähe von Prag haben sich die Hagens ein altes kleines Haus gekauft. Auf der Fensterbank steht eine Kamera, die das Familienleben live nach Russland zu ihrem Ehemann überträgt. Er darf im Moment nur alle drei Monate als Tourist nach Tschechien einreisen. Sein Taxiunternehmen in Tschechien musste er aufgeben. Ihre drei Söhne Sascha (10), Oskar (4) und Erik (1) betreut die frühere Pornodarstellerin momentan allein: Kochen, Kindergarten, Hausaufgabekontrolle.

Das schwarze Schaf
Seit dem Nacktprotest weiß jeder im Dorf, dass Hagen die „Pornomama“ ist. Ein Freund von Sascha, dem ältesten, sei seitdem nicht mehr zum Spielen gekommen, erzählt sie. Es gab aber mehr positive Reaktionen. Die Bürgermeisterin erkundigte sich, ob sie Hilfe brauchten. Eine Organisation sammelt Spenden, die Familie Hagen im Moment ernähren. Und sogar die evangelische und katholische Kirche haben Hilfe angeboten. Wenn Hagen und ihre Kinder abgeschoben werden sollten, wollen sie ihr Kirchenasyl gewähren. Das hat es in Tschechien noch nie gegeben.

Anastasia Hagen wirkt müde. Manchmal empfängt die blonde, zierliche Frau Journalisten in ihrer Küche und beantwortet geduldig ihre Fragen. Es scheint, dass es in diesem Haus keine Tabus gibt. Für die Fotos nimmt sie meistens die Kinder auf den Arm. Wenn sie vor der Kamera posiert und plötzlich gezielt eine Haarsträhne in das professionell aufgesetzte Gesicht fallen lässt, dann bekommt man eine Ahnung von dem Pornoprofi namens „Wiska“, der sie einst war. Das Internet ist voll von Fotos, Videos und anhimmelnden Kommentaren. Hagen versuchte möglichst viel im Netz zu löschen, zumindest ihre Kontaktdaten. Aber das ist schwierig, noch immer bekommt sie Angebote zum Drehen. Auf Youtube hat sie ein Video hochgeladen, wie sie Weihnachten mit den Kindern in ihrem Haus verbringt, tschechische Weihnachten mit Baum und Geschenken. „Die Leute sollen sehen, dass wir eine ganz normale Familie sind“, sagt sie.

2010, zwei Jahre nachdem Hagen die letzte Pornoszene gedreht hatte, trat in der Ukraine das Gesetz in Kraft, dass Pornografie und jegliche Mitwirkung daran weitgehend unter Strafe stellt. Der Paragraf ist ungenau definiert. Hagen war nie Produzentin und besitzt keine Rechte an ihren Filmen. Sie wäre wohl die erste Frau in Europa, die bestraft würde, weil sie in Pornos mitgespielt hat. „Man benutzt sie als schwarzes Schaf“, sagt ihre Anwältin. Hagen droht ein unfairer Prozess und bis zu fünf Jahre Gefängnis. Auch gegen ihren Mann wird ermittelt.

Der Fall ist kompliziert. Möglicherweise, glauben die beiden, steckt hinter den Gängeleien der Polizei ein Mann namens Serkov, mit dem Aleksander Hagen eine langjährige Fehde verbindet. Noch in Feodosja auf der Krim hätten korrupte Polizisten „Schutzgeld“ verlangt – nichts Ungewöhnliches damals in der Ukraine – und ihn in einen Versicherungsbetrug verwickelt, für den Aleksander am Ende drei Jahre ins Gefängnis musste. Später hatte er Serkovs Praktiken im Internet offengelegt. Vielleicht will er sich rächen.

Möglicherweise ist Anastasia Hagen aber das schwarze Schaf, weil sie geplaudert hat. Pornofilme drehen, Modeln für Erotikmagazine – das liegt in Osteuropa nicht allzu fern vom Alltag vieler junger Frauen. Hagen aber sprach in ukrainischen Medien offen über ihre Arbeit. Mächtige Männer im Staat irritierte das, es erboste sie.

Einige Interviews gab sie sogar gemeinsam mit ihrem Mann. „Ja, so verdiene ich mein Geld“, sagte Anastasia. „Nein, das Pornobusiness belastet unsere Beziehung nicht. Nein, keine Eifersucht. Wir führten damals eine offene Beziehung. Wir waren sowieso sexuell hyperaktiv“, sagte Aleksander. Die Journalisten kamen aus dem Staunen nicht heraus. Die Hagens, so schien es, hatten ein Bedürfnis, aufzubegehren gegen die prüde postsowjetische Gesellschaft. Nach den Gründen für den Einstieg ins Pornogeschäft fragten die Journalisten nicht. Eigentlich nervte es Anastasia Hagen, dieses Interview zu geben. Ihr Mann hatte sie dazu überredet. Der spricht gern „offen“ – den Satz sagt er oft.

Aleksander ist 17 Jahre älter als Anastasia und hat sie zu vielem in ihrem Leben „überredet“, wie Anastasia immer mit einem Lächeln sagt. Man kann das für problematisch halten, aber bis heute scheint diese Beziehung von blindem Vertrauen geprägt. „Ich bereue nichts“, sagt sie. Nicht das Kind mit 16, nicht die Pornokarriere.
Sie lernten sich kennen, da war sie 15, Schülerin, er 32, Schmied mit eigenem Geschäft, Haus und mehreren Autos. Auf der Straße in ihrer Heimat Feodosja, er lud sie in ein Café ein. Er wirkte jung und schenkte ihr Aufmerksamkeit, die sie bei ihren Eltern nicht bekam. „Du bist hässlich und kannst nichts“, habe ihr Vater zu ihr gesagt.

Mit 16 wurde sie schwanger. Für Aleksander war das geplant, sie war verzweifelt. „Ich war selbst noch ein Kind“, sagt sie. Sie verlor das Baby und wurde wenige Monate später wieder schwanger. Daheim wurde ein „Rat“ einberufen, Vater, Mutter und ihr Freund berieten, was zu tun war – heiraten oder ausziehen. Sie ging mit Aleksander, wurde Mutter und war glücklich. Eigentlich hatte sie mal Textildesignerin werden wollen. Mit 17 stellte sie Aleksander in einer Modelagentur vor. „Damit ich meine Komplexe ablege“, sagt sie. „Damit sie lernt, sich wie eine Frau zu benehmen. Sie kam ja aus einer proletarischen Familie“, sagt er. Wieder vertraute sie ihm. Das Modeln, auch für Erotikwebsites, gab ihr Selbstbewusstsein. Sie hatten Swingersex und Aleksander schaute gern Pornos, ihr waren sie egal.

Ein Anruf aus St. Petersburg
Als ihr Mann ins Gefängnis musste, blieb Anastasia Hagen mit ihrem einjährigen Sohn ohne Geld zurück. Sie hatte begonnen, in Kiew Regie zu studieren. Sie suchte Arbeit und verstand, dass Frauen mit Kind und ohne Ausbildung nichts wert sind. Sie bekam ein Angebot als Sekretärin und der Vorgesetzte bedeutete ihr, dass sie dann auch seine Geliebte wäre. Hagen trug sich wieder auf einer Website ein, um mehr Modelaufträge für Erotikwebsites zu bekommen. Da bekam sie einen Anruf. Ob sie in einem Pornofilm mitspielen würde. Eine Woche in St. Petersburg, 500 Dollar winkten. Sie sagte zu, mit einem unguten Gefühl. Ihr Sohn blieb bei einer Babysitterin.

Die Crew drehte und wohnte in einem Haus außerhalb der Stadt. Man sprach Englisch, Hagen nicht. Nachdem sie negativ auf HIV getestet wurde, drehten sie die erste Szene. Anal, zwei Frauen, zwei Männer. Sie tranken Whisky. Hagen erhielt daher das Pornopseudonym „Wiska“, aber das erfuhr sie erst nach einigen Jahren. Die Crew war sehr zufrieden mit ihr.

Nach der Woche ohne ihren Sohn hatte sie genug. „Nie wieder“, dachte sie sich. Aber als sie wieder ein Angebot bekam und die nächste Miete ausstand, fuhr sie wieder. Die Bedingungen wurden besser. Sie lernte Englisch und konnte sagen, was sie wollte und was nicht. Die Firma zahlte ihr jetzt Flüge in Studios nach Russland, dann meist nach Tschechien. Bis zu 1.000 Euro erhielt sie pro Szene. Das meiste Geld bringt eine Szene mit mehreren Männern. 40 Minuten müssen am Stück gedreht werden, bis der Mann kommt. Es sei ein Spiel und man spiele seine Rolle, sagt sie. Physisch sei es unheimlich anstrengend. „Nach einem Porno will man eigentlich ein Jahr keinen Sex“, sagt Hagen.

Von dem Honorar, das Hagen nach jedem Dreh mit nach Hause brachte, konnte sie zwei bis drei Monate mit ihrem Sohn in Ruhe leben und für ihn da sein. „Meine Eltern waren fast nie da“, sagt sie. Abends seien sie müde aus der Fabrik gekommen, Geld hätten sie trotzdem nicht gehabt. „Für meinen Sohn wollte ich etwas anderes.“ Vier Jahre zog sie das durch, bis zur Geburt des zweiten Kindes Oskar.

Nachdem das Pornografie­gesetz 2010 verabschiedet wurde, leiteten mehrere Abgeordnete des ukrainischen Parlaments polizeiliche Ermittlungen gegen die Hagens ein. Verhöre, Hausdurchsuchungen, Computerkonfiszierung. Einer der Abgeordneten soll gesagt haben: „Wenn sie mit ihrem Körper handelt, soll sie es tun, aber sie soll es gefälligst nicht im ganzen Land erzählen.“ Das gleiche hatten ihr ihre Eltern vorgeworfen. Dieser Frau war es eingefallen, zuzugeben, dass ihr Körper ihr Kapital ist  – und sich nicht dafür schämte und sich nicht kleinhalten ließ.

Hagen hat ein neues Youtube-Video von sich hochgeladen. Zu Bob Marley tanzt sie darin im Handtuch durch ihr Haus. Als wollte sie einen Moment der Leichtigkeit festhalten. Sie will nicht mehr die „Pornomama“ sein, die um ihre Rechte kämpft. Sie träumt davon, im Erdgeschoss ihres Hauses ein Kindercafé für die Kinder und Eltern im Dorf zu eröffnen. Dort soll es Süßigkeiten aus ihrer Heimat geben.